
Streng katholisch war hingegen meine Großmutter. Unter der Woche trug sie demonstrativ nur weiße Schürzen - immer fünf auf einmal - und änderte ihr Erscheinungsbild nur Samstag abends und Sonntag früh. Da zog sie sich Bluse, Faltenrock und Handtasche über und wackelte zielsicher dem Glockengeläut entgegen. Irgendwann wurde das wackeln zu doll. Sie stolperte auf der Kirchentreppe und setzte sich - alten Leuten fallen schmerzen oft nicht auf - mit blutüberströmten Gesicht in der erste Reihe direkt vor den Pfarrer. Danach ging sie zwar seltener in die Kirche, ihrer Gläubigkeit tat dies aber keinen Abbruch. Der Rosenkranz wurde täglich zusammen mit dem Vatikan in einer Liveschaltung im Radio gebetet und auch Jürgen Fliege - wenn auch schändlich evangelisch - zeigte die Schmerzen der Welt und brachte so die katholische Waage wieder ins Gleichgewicht.
Nun war Ostern und meine Oma wollte ihre von Gott gesegneten Weidekätzchen in die Küche stellen aber die Kirche war 5 min weit und eben 5 min zu weit weg von Omas Haustür. Also ging ich.
Sie erklärte mir alles genau: Wir würden alle in einer Prozession um die Kirche laufen. Die Weidekätzchen wären dann geweiht noch bevor die Messe anfing und ich könnte gehen.
Totaler Humbug, dachte ich, hätte es aber niemals gewagt, ihr stinknormale Zweige zurück zu bringen. An der Kirche traf ich auf andere Zweigträger, aber der Regen war zu stark - es nieselte - und das war dem Pfarrer nicht zuzumuten. Die Prozession wurde in die Kirche verlegt. Der Übergang zwischen Prozession und Messe verschwamm, ich wußte gar nicht mehr wo ich war und sehnte mich nach der Beschäftigung mit dem Pappbrot, hatte aber keine Lust so lange zu warten. Meine Kätzchen konnte ich die Weihung nicht ansehen, so sehr ich auch suchte. Und so rückte ich zu meiner Banknachbarin rüber. "Sind die Zweige jetzt heilig?" Sie nickte irgendwie verständnisvoll und ich schlich mich zur Tür hinaus.
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