Donnerstag, 20. November 2008

sturmfrisur

Mir gefällt sie eigentlich sehr gut, die Sturmfrisur. Dem Sturmfrisurträger übrigens auch. Nur irgendwann waren sie dann doch zu lang, die wilden Locken. Und deswegen schnitt er sie ab. Allerdings selbst und nur vorne. Oben und rechts und links seines Gesichtes, also eben das was man sehen kann wenn man in den Spiegel schaut. Voller Stolz trug er seine Rudi-Völler-Original-Friese von der 1990er WM durch die Gegend. Er fand´s cool, ich nicht. Ich nötigte ihn zum Friseur zu gehen und irgendwann willigte er ein. Wir liefen die Warschauer Straße hinunter. Der erste Friseur war ziemlich leer. Deutet auf schlechten Service hin, wurde mir erklärt. Wir bogen in die Kopernikusstraße ein. Der Friseur war ausgerechnet heute am Renovieren. Morgen sei jedoch wieder geöffnet und erste Termine gäbe es schon in vier Wochen. Hmmm. Der dritte Friseur – nee, da wollte Rudi nicht rein – viel zu voll und außerdem selbst fönen – nee, also echt nicht. Der vierte Friseur kam gar nicht erst dazu uns zu begrüßen. Eine Liste stand auf dem Empfangstisch: Waschen zwei Euro, Schneiden sechs Euro, Haarschaumpflege eins-fünfzig, Beratung sechs-fünfzig, selbst fönen null Euro, vom Friseur drei Euro,… „selbst fönen, pff, soll man auch selbst waschen und schneiden?“ und er war schon aus der Tür raus. Die nächste musste, als wir den Laden betraten, plötzlich zu einem dringenden Termin. In vier bis fünf Stunden sei sie wieder da, wenn wir solange warten würden. Er entschied sich für nein. Sie war ohnehin zu teuer. Mir schwante langsam, der psychisch wie physisch störrische Kopf meines Freundes war in der Friedrichshainer Friseurbranche berühmt und berüchtigt. Keiner wollte ihm die Haare schneiden. Verbreitete sich die „Achtung! ER kommt“- Nachricht wirklich so schnell? Oder lag es an einem tiefsitzenden Friseurtrauma seinerseits? Entsetzt über die niedrige Anzahl an Haarschneidern auf den letzten 100 Metern (fünf Stück!!!!) wurde mir verkündet, heute werde nicht mehr geschnitten. Ein Frisör nach seinem Geschmack müsse SOFORT schneiden, EINEN Preis haben, kostengünstig schneiden und vor allem: einem die Haare fönen. Wie beim allerersten, dachte ich und sagte es dann auch. Nach einer heißen Diskussion, die ich schließlich gewann, spazierte Rudi mit nassen Haaren und ohne seine Matte aus dem ersten Laden raus. Er war modisch wieder im 21. Jahrhundert angekommen und erzählte fröhlich, wie er den Friseur gerade noch so vom Fönen abhalten könnte. Locken fönt man nämlich nicht, sonst kriegt man ne Frisur wie n aufgeplatztes Kopfkissen.
Manchmal macht es keinen Sinn Fragen zu stellen.

Montag, 10. November 2008

weidekätzien

Ich mache mir nichts aus Kirche. Wie so viele bin ich zwar katholisch getauft, habe allerdings schon zehn Jahre nicht mehr das Vergnügen gehabt mich durch die erste Hälfte der Messe zu langweilen und nur auf das "Essen" zu warten. Die gesamte zweite Hälfte der Messe brachte ich immer damit zu, hochkonzentriert mit der Zunge und unter akrobatischen Kieferverrenkungen das heilige Pappbrot vom Gaumen zu kratzen. Alles in allem war es einfach nichts für mich.
Streng katholisch war hingegen meine Großmutter. Unter der Woche trug sie demonstrativ nur weiße Schürzen - immer fünf auf einmal - und änderte ihr Erscheinungsbild nur Samstag abends und Sonntag früh. Da zog sie sich Bluse, Faltenrock und Handtasche über und wackelte zielsicher dem Glockengeläut entgegen. Irgendwann wurde das wackeln zu doll. Sie stolperte auf der Kirchentreppe und setzte sich - alten Leuten fallen schmerzen oft nicht auf - mit blutüberströmten Gesicht in der erste Reihe direkt vor den Pfarrer. Danach ging sie zwar seltener in die Kirche, ihrer Gläubigkeit tat dies aber keinen Abbruch. Der Rosenkranz wurde täglich zusammen mit dem Vatikan in einer Liveschaltung im Radio gebetet und auch Jürgen Fliege - wenn auch schändlich evangelisch - zeigte die Schmerzen der Welt und brachte so die katholische Waage wieder ins Gleichgewicht.
Nun war Ostern und meine Oma wollte ihre von Gott gesegneten Weidekätzchen in die Küche stellen aber die Kirche war 5 min weit und eben 5 min zu weit weg von Omas Haustür. Also ging ich.
Sie erklärte mir alles genau: Wir würden alle in einer Prozession um die Kirche laufen. Die Weidekätzchen wären dann geweiht noch bevor die Messe anfing und ich könnte gehen.
Totaler Humbug, dachte ich, hätte es aber niemals gewagt, ihr stinknormale Zweige zurück zu bringen. An der Kirche traf ich auf andere Zweigträger, aber der Regen war zu stark - es nieselte - und das war dem Pfarrer nicht zuzumuten. Die Prozession wurde in die Kirche verlegt. Der Übergang zwischen Prozession und Messe verschwamm, ich wußte gar nicht mehr wo ich war und sehnte mich nach der Beschäftigung mit dem Pappbrot, hatte aber keine Lust so lange zu warten. Meine Kätzchen konnte ich die Weihung nicht ansehen, so sehr ich auch suchte. Und so rückte ich zu meiner Banknachbarin rüber. "Sind die Zweige jetzt heilig?" Sie nickte irgendwie verständnisvoll und ich schlich mich zur Tür hinaus.